Es ist zu spät für „wehret den Anfängen.“ Es ist Zeit für „wehret der Normalisierung.“

Avatar von Bernhard SturmGepostet von

Im Gastbeitrag (in der Süddeutschen Zeitung) sagt Natascha Strobl, Politikwissenschaftlerin, Publizistin und Referentin beim Bündnis Themenabend „Rückt die Mitte nach Rechts – Radikalisierter Konservatismus“:

Eine weitere Binsenweisheit:

Eigentlich müssten wir gewarnt sein. In vielen Ländern ist das alles zu beobachten und hat in Deutschland längst eingesetzt. Darum ist zu spät zu „wehret den Anfängen.“ Es ist höchste Zeit für „wehret der Ausbreitungund „stoppt die Normalisierung“.

Aktuell müssen wir feststellen, dass das Rezept von Rechtspopulisten und rechtsextremer Parteien funktioniert. Insbesondere konservative Parteien nehmen die getriggerten Themen auf und multiplizieren sie.

Die Diskursverschiebung ist in Gange. Rechte Themen verlieren ihr Tabu und drohen zu einer „Meinung“ unter vielen zu werden. Moderiert und begleiten von vielen selbsternannten oder professionellen „Verstehern“, die permanent was von „Abgehängten, Frustrierten und Nicht-Mitgenommenen“ dozieren. 

Anstatt den Normalisierungsprozess zu stoppen, wird er so noch befeuert. Beispielhaft bei der Genderdebatte und Ablehnung von Klimaschutzmaßnahmen.

Wir haben hier im Blog schon einmal gefragt „Ab wann verlässt man die politische Mitte?“

Darum ist es so gefährlich, was ein Merz zum Umgang und mögliche Zusammenarbeit mit der AfD gesagt hat. Normalisierung geschieht durch Einbindung in Diskursen und Gleichsetzung mit Parteien die die demokratischen Spielregeln einhalten.

Wenn der Konsens des „nicht Tolerieren“ und der „nicht Zusammenarbeit“ fällt, dann beginnt die Normalisierung. Dann ist Rechtsextremismus eine Meinung und keine gefährliche Ideologie mehr. Dann werden Antidemokraten als „Partner“ akzeptiert. Dann hat sich der Zweifel an der Demokratie als Stachel im Organismus der Gesellschaft festgesetzt und pumpt sein Gift hinein.

Der dümmstmögliche Ansatz, besonders von den Parteien der „Mitte“ ist es, eine Zusammenarbeit auf Sachebene mit Rechten zu akzeptieren. Aus (wahlweise) Ignoranz, politischer Naivität oder im schlimmsten Fall dem Glauben, die Rechtsextremen einhegen zu können, mag der Impuls entstehen. Doch damit ist einer Tolerierung Tür und Tor geöffnet, man wird politischer Handlanger und die Brandmauer ist eingebrochen.

Die Rechten machen ja gar keinen Hehl daraus. Um den dauerhaften Machterhalt zu sichern, wird konsequent am Umbau zu einer illiberalem dysfunktionalen Demokratie gearbeitet. Minderheitenrechte, Gleichberechtigung von Frauen, feministische und quere Themen allgemein stellt die Angriffsfront für die Rechten gegen eine pluralistische Gesellschaft dar. Denn eine gesellschaftliche Gleichberechtigung der Gruppen akzeptieren sie nicht und wollen sie auch gar nicht. Es ist gegen die vermeintliche Natur der rechten und konservativen Weltanschauung. Man sieht es ja in den vielen illiberalen Demokratien um uns, wie als erstes Minderheitenrechte geschleift, die Zivilgesellschaft gegeneinander aufgehetzt wird.

Es ist z.B. nicht überraschend, dass die Post-Faschistin Meloni in Italien im Handstreich für viele Familien die Sozialleistungen komplett gestrichen hat. Im Geiste der Rechten sind Sozialhilfeempfänger*Innen
schwache Privilegienempfänger die im Grunde verachtet werden.

Und der Faschismus glotzt aus dem Nebel der Geschichte und lacht.
Siehe auch im Blog: Demokratie unter Rechts >Druck

Doch wir beobachten als besorgte Bürger*Innen, dass nicht nur extrem rechte Parteien und Politiker bewusst eine Rolle der  Provokation spielen, um gegen „das System“ oder „die da oben“ zu agitieren. 

Leider tölpeln auch bayerische Politiker der konservativen, bürgerlichen Mitte auf die Bühne, um in der Rolle des Populisten einen starken „Die-Demokratie-zurückholen-Max“ zu geben. Dabei ist es ihnen erschreckend Wurscht, wer ihnen zujubelt. Man kann sich fragen, ist am Ende sogar Absicht, die dahinter steckt? Oder einfach nur naive Dummheit? Wir fragen für die besorgten Bürger*Innen.

Um ein anderes Bild zu gebrauchen, verkörpern all die Hubsis, Merzens, Lindemänner und Dodrindts nicht die Rolle der „Fußballeltern“ am Spielfeldrand, die aggressiv gegen die Schiedsrichter oder gegnerische Spieler hetzen?

Es muss den Protagonisten doch bewusst sein, dass mit ihrer Aggressivität im Extremfall das ganze Spiel in Frage gestellt wird.

Dass die Rechten und Rechtsextremen die Unzufriedenen für sich einsammeln, davor wurde zwar von vielen Politikern und Experten gewarnt. Von den Parteien der Mitte wurde die Gefahr möglicherweise aus Gründen der Hilflosigkeit oder als nicht systemrelevant marginalisiert und abgetan.

Die Rechten und Rechtsextremen reklamieren für sich den Alleinvertretungsanspruch der Unzufriedenen und „Wutbürger“. Das unbestimmte „Dagegensein“ wird eingesammelt, emotionalisiert und in völkische, rassistische und Minderheiten bezogene menschenfeindlichen Kontext gebracht. Dazu sammeln sie durch Verbreiten von Verschwörungsideologien noch einen Rest von ausdrücklich nicht Rechten Gruppen ein. Dass konservative Parteien ernsthaft glauben hier punkten zu können ist komplett weltfremd. Denn der Ansatz der Rechten ist destruktiv. Was konservative Parteien nicht unterstützen. Die Extremwähler wählen nicht die Kopie sondern das Original.

Es ist offensichtlich. Durch die verlorene Wahl haben die Unionsparteien ihren sich selbst definierten Führungsanspruch verloren, haben ihre Rolle in der Opposition nie akzeptiert. 

Es sieht aktuell auch nicht so aus, als ob die Union unter Merz und Söder das konservative Profil in zukunftsfähige Themen umzumünzen. Bisher versteifen sie sich auf komplett Verweigerung.

Und nun haben Merz, Dobrindt, Aiwanger und in Teilen auch Söder, bewusst oder unbewusst, am süßen Gift des Rechtspopulismus geleckt. Sie arbeiten sich an Feindbildern ab und skandalisierten Nebenaspekte der Politik. Als ob am Gendersternchen das Wohl der Welt hängt. 

Langsam wird sichtbar, was das Gift des Populismus anrichten kann. Die Gesellschaft radikalisiert und polarisiert sich. Die Nebeneffekte des Gifts greifen den ganzen Körper an. Erst den Geist der Partei, um dann auf den Körper der Gesellschaft überzuspringen.  

Es wird eine Herkulesarbeit, den Vertretungsanspruch der Unzufriedenen, den die Rechten für sich reklamieren, zu brechen. Anstatt gegen den Trend der Radikalisierung anzukämpfen, wird die Schuld dafür nun den progressiven Parteien in die Schuhe geschoben. Die Wichtigkeit des Abwehrkampfes haben die konservativen und bürgerlichen Parteien noch nicht im Ansatz verstanden.

Ein Kommentar

  1. »Es ist zu spät zu „wehret den Anfängen.“ Es muss gelten: „wehret der Ausbreitung.“«
    – gleiches kann man zur aktuellen Situation sagen beim Konflikt im vorderen Orient. Sind wir mit unserem plakativen „nie wieder“ wirklich an Israels Seite oder verstecken wir uns hinter dem sog. „Whataboutism“, der die Terroranschläge der Hamas als Antwort auf die Repressalien der israelischen Politik gegenüber dem palästinensischen Volk (Ausbreitung der radikalen Siedler, Grenzkontrollen etc.pp) rechtfertigt?

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